Weinstock und Rebe – ein wechselseitiges Beziehungsgeschehen. Predigt am 5. Sonntag der Osterzeit

Ein faules Früchtchen verdirbt die gute Frucht

Zwei Männer treffen in einer Gemeinschaft aufeinander. Einer gehört schon lange dazu unde einer hat eine belastete Vorgeschichte. Sie vertragen sich nicht besonders. Vielmehr hat das ältere Mitglied Vorbehalte, weil er weiß, dass der Andere der Gemeinschaft viele Probleme bereiten wird. Und so spricht er ihm zu: „Na du bist mir ja ein faules Früchtchen!“ Zum Ausdruck bringt er damit: „Du bist nicht am gesunden Stamm aufgewachsen. Du hast dich hineingeschlichen. Ich sehe dich nicht als gute Frucht an. Ich vertraue dir nicht.“ So wird deutlich, dass die Beziehung der beiden Beteiligten belastet ist.

Die Wichtigkeit der Beziehung in der ersten Gemeinde

Von einer solch belasteten Beziehungsgeschichte lesen wir heute in der Ersten Lesung aus der Apostelgeschichte (Apg 9, 26–31). Das musst du dir einmal im Kontext vorstellen: Die ersten Christen sind eine kleine Gruppe. Und sie leben vom gegenseitigen Vertrauen. Sie müssen sich aufeinander verlassen können. Denn von außen dringt genug Gegenwind und Sturm auf sie ein, nämlich in Form von Hass, Vorurteilen und Feindseligkeit.

Krisen haben verbunden und gestärkt

Als Gemeinschaft haben sie auch schon Krisen durchstehen müssen. Die Schwerste von ihnen war für sie der Verlust ihres Stammes, auf den sie sich verlassen konnten und an den sie sich anlehnen konnten. Es war der, der ihr Halt war. Er, der sich uns heute im Evangelium (Joh 15, 1–8) als Weinstock präsentiert. Dieser Stamm des Glaubens war von den Feinden umgehauen worden. Nämlich dann, als sein Leib am Stamm des Kreuzes aufgehängt worden war. Diese Tatsache hat sie als Gemeinde erschüttert. Und sie hatten sich zurückziehen müssen. Verschanzt und verschlossen hinter Türen bis er als Auferstandener zu ihnen kam. Zurückgezogen bis zum Pfingsttag, an dem sie mit dem Heiligen Geist ausgestattet, in die ganze Welt hinausgehen.

Eine ebenfalls große Krise, die sie zuvor durchgemacht hatten, war der Verrat aus der Mitte ihrer Gemeinschaft. Es war ein Mitglied, der den Herrn und Meister ausgeliefert hat an ein Wurzelwerk böser Verstrickungen. Judas, einer von ihnen, der Jesus, ihren Meister, den Schergen des Hohen Rates ausgeliefert hat.

Die Gemeinschaft der Glaubenden in den Anfängen der ersten Gemeinde von Jerusalem hat also berechtigte Sorgen. Einerseits also all diese Vorgeschichten, die ihnen das Leben schwer machen. Andererseits die ständige Angst vor Verfolgung und dem möglichen Verlust des eigenen Lebens durch ihre Gegner.

„Das ist aber nun die Krönung!“

Und nun kommt die Krönung. Einer, der zu den größten ihrer Verfolger gezählt hat, will Mitglied ihrer Gemeinschaft werden. Einer, an dessen Hände Blut klebt, will ihnen die Hände reichen. Einer, der als Beispiel des Unglaubens steht, meint nun durch eine Bekehrung zum richtigen Glauben gefunden zu haben und ein Jünger des Herrn geworden zu sein. Das ist für viele zu viel. Und wir sind wieder bei der anfangs beschriebenen Begegnung. Wir erinnern uns an den Satz: „Du bist mir ja ein faules Früchtchen!“ – so spricht einer offen aus und viele bestätigen seinen geäußerten Eindruck. In der Apostelgeschichte wird es beschrieben mit:

Alle aber fürchteten sich vor ihm, weil sie nicht glaubten, dass er ein Jünger war.

Apg 9,26

Einer gibt ihm aber eine Chance und hält zu ihm. Es ist Barnabas, der sich für ihn einsetzt. Er schildert der Gemeinde die Bekehrungsgeschichte und durch seinen Einsatz wird Saulus in die Gemeinde aufgenommen.

Zugehörigkeitsthematik unserer Zeit

Liebe Schwestern und Brüder im Herrn! Die Geschichte von damals ist uns auch heute nicht fremd. Bis heute diskutieren wir in den Gemeinden, aber auch in Gremien bis hin zur Bischofskonferenz: Wer darf zu unserer Gemeinschaft dazugehören? Einerseits wird immer wieder betont, dass alle dazugehören sollen. Andererseits zeigt sich anhand der derzeitigen Debatte, ob denn Mitglieder der AFD ein Amt in den Gremien der Gemeinden übernehmen dürfen oder nicht ausgeschlossen werden müssen, dass Gemeinschaften immer wieder darüber ringen, welche Zugehörigkeitskriterien sie definieren.

Tipps für unsere Gemeinde heute

Zwei wichtige Tipps für diese Fragen geben uns heute die anderen beiden Schrifttexte aus dem Evangelium und der Zweiten Lesung (1 Joh 3, 18–24).

Tipp 1: Beziehungsarbeit

Der erste Tipp stammt aus dem Gleichnis vom Weinstock und den Reben. Jesus selbst beschreibt darin seine Vorstellung, wie gute Beziehungsarbeit zu sehen ist, nämlich im wechselseitigen Miteinander.

Ich bin der Weinstock, ihr seid die Reben. Wer in mir bleibt und in wem ich bleibe, der bringt reiche Frucht; denn getrennt von mir könnt ihr nichts vollbringen.

Joh 15,5
Blick auf die Historie

Wenn wir dieses Gleichnis verstehen wollen, müssen wir uns zunächst mit dem Alten Testament beschäftigen. Denn schon dort ist der Weinstock ein Bild für die enge Beziehung von Gott und Mensch. Nicht nur in der Schöpfungsgeschichte gibt es den Garten mit allerhand Bäumen und Sträuchern, die für die Versorgung des ersten Menschenpaares gedacht ist. Im sogenannten Weinberglied (Jes 5,1-7) wird Gott als fürsorgender Winzer beschrieben, der sich um seinen Weinberg sorgt. Dieser ist das Volk Israel, das gehegt und gepflegt wird. Doch dieses auserwählte Volk interessiert sich nicht genug für den Winzer und für alles, was er für es tut.

Aktualisierung des Bildes

Nun also greift Jesus dieses alte Bild wieder auf und beschreibt es anschaulich. Alles lebt von der Pflege im Weinbergsgarten. Jesus stellt uns den Vater als Winzer vor, der sich sich um die Wachstumsbedingungen im Weinberg sorgt. Er hegt und pflegt ihn. Jesus beschreibt also die erste Voraussetzung der Gemeinschaft: Es braucht ein Grundvertrauen, dass da einer ist, der sich sorgt. Einer, welcher der Grund von allem ist. Als Gemeinde brauchen wir daher ein Grundvertrauen in Gott, den Vater, der unser Zentrum ist.

Dazu kommt der feste Stamm. Dieser ist für uns Jesus selbst, der von sich spricht:

Ich bin der wahre Weinstock.

Joh 15,1
Übertrag auf uns

Ein Weinstock hat ein festes Wurzelwerk und einen festen Stamm, der als große Versorgungsleitung mit allem Lebensnotwendigen für die Reben dient. Jesus selbst will uns versorgen, denn im Verhältnis von Weinstock und Rebe beschreibt er uns als seine Reben. In unseren Gemeinden müssen wir uns also immer vor Augen halten, dass wir vom Stamm ausgehen und von diesem versorgt werden. Wir stehen in Verbindung mit Jesus und er schenkt uns, was wir brauchen. Er schenkt uns Leben und Frucht, wenn wir uns auf ihn besinnen. Wenn in unserer Gemeinde das Verständnis abhanden kommt, dass wir Reben Jesu sind, die vom Weinstock leben, dann passiert das, was Jesus nachfolgend beschreibt:

Wer nicht in mir bleibt, wird wie die Rebe weggeworfen und er verdorrt.

Joh 15,6

Wer also die Beziehung zu Jesus verliert, stirbt ab, weil er sich nicht mehr versorgen lässt. Wichtigste Aufgabe von Gemeinden ist es also, die Beziehung zu Jesus nicht verdorren zu lassen. Wir brauchen daher dringend Glaubensrunden, Bibelgespräche und Austauschrunden. Denn, wenn wir unseren Glauben nicht ständig pflegen, dorren wir aus.

Der erste Tipp, den uns Jesus im Gleichnis mitgibt, ist die Pflege unserer Beziehungen: zum Vater, zu Jesus und auch untereinander.

Tipp 2: Vom Botenstoff der Liebe durchdringen lassen

Der zweite Tipp kommt aus der Lesung aus dem ersten Johannesbrief. Dort wird uns mitgegeben, dass all unser Tun aus der Liebe zueinander geschehen soll. Sie ist unserer Botenstoff, über den wir miteinander kommunizieren – ob durch Worte oder Taten.

Weinstock und Reben, Beziehungsarbeit und Zugehörigkeit. All diese Themen haben uns heute in den Texten dieses fünften Sonntags der Osterzeit beschäftigt.

Am Anfang meiner Predigt standen die Fragen: „Wer gehört dazu? Und: Kann ich einem, der einen Lebenswandel hinter sich hat, gänzlich vertrauen?“

Schwestern und Brüder im Herrn, wir haben es in unserer Zeit nötig, einander zu vertrauen und uns als Gemeinschaft zu verstehen, die sich gegenseitig stützt und versorgt.

Unsere Zeiten und unser Auftrag

In Zeiten, in denen in Gesellschaft und Kirche das Vertrauen erdrutschartig dahinrutscht, brauchen wir einen festen Stamm.

In Zeiten, in denen der Frost nicht nur den Reben in der Natur schadet, sondern auch uns, wenn wir uns im Miteinander frostig begegnen, sterben Reben und stirbt Miteinander ab.

In Zeiten, in denen wir meinen, auf niemand anderes angewiesen zu sein, sondern alles selbst angehen zu können, merken wir nicht, wie wir langsam, aber sicher, immer mehr innerlich verdorren.

In Zeiten, in denen wir andere absäbeln wollen, die wir nicht bei uns haben wollen, verkommt der Weinberg als Ganzes.

Lasst uns daher Gemeinde als Ganze verstehen, in Verbindung als Weinstock und Reben und im Vertrauen auf den Winzer, der sich auch um uns liebevoll sorgt. Amen!

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