Predigt zum Gründonnerstag am Do, 17.04.25
Liebe Schwestern und Brüder im Herrn, hier versammelt in unserer Pfarrkirche erleben wir Gemeinschaft und sind Teil der Gemeinschaft. Als Glaubensgemeinschaft leben wir von diesen Zusammenkünften, in denen Gemeinschaft erst ermöglicht wird. Und als Einzelne brauchen wir uns gegenseitig. Gerade in den Jahren der Coronakrise haben wir das ja erlebt, als wir uns nach Gemeinschaft gesehnt haben. Doch nun – einige Jahre nach der Krise – erleben wir wieder und mehr eine Gesellschaft von Individualisten und eine Glaubensgemeinschaft, in der nicht wenige sagen: „Mein Glaube: Ja. Kirche als Glaubensgemeinschaft: Nein.“ Von daher möchte ich anhand des heutigen Tages und der Texte dieser Tage einen Blick auf das Wechselspiel von Gemeinschaft und Individuum werfen.
Kulturen gehen mit dem Wechselspiel von Gemeinschaft und Einzelperson um
Grundsätzlich fälltm ir auf, dass Kulturen ganz unterschiedlich mit dem Wechselspiel von Gemeinschaft und Einzelperson umgehen und immer wieder Verschiebungen in diesem Wechselspiel festzustellen sind.
Gerade in den Kulturen Afrikas und Asiens, aber auch nach wie vor in südlichen, europäischen Ländern wie Italien oder Spanien steht der Wert der Gemeinschaft und besonders der Familie an erster Stelle. Es gibt auch Länder und Kulturen, in denen der Wert der Gemeinschaft gar so hoch eingestuft wird, dass das Individuum in der Gesellschaft aufzugehen scheint. Hier fällt der Kommunismus auf, der diese Haltung groß werden hat lassen, wenn er den Staat über das Wohl von Einzelpersonen gestellt hat. Bis heute gibt es diesen Blick in Staaten wie China und Nordkorea, in denen nicht zuletzt Einzelpersonen und Einzelschicksale zum Wohl des Großen und Ganzen geopert werden.
Ein anderes Extrem erfahren wir in jenen westlich geprägten Kulturen, in denen das Individuum so hoch eingruppiert wird, sodass es schier unmöglich wird, zu einer Gemeinschaft zu werden. „Was nützt MIR das?“ – lautet die häufigste Frage solch geprägter Personen, die in unseren Tagen zunehmend anzutreffen sind. „Warum soll ich schon für andere da sein und meine Zeit und Nerven für andere opfern?“ – ist die natürliche Frage einer solchen Sicht. Daher schwindet gesellschaftlicher Einsatz im Ehrenamt ebenso wie die Bereitschaft, einen sozialen Beruf zu ergreifen, denn dann muss ich ja da arbeiten, wo andere Zeit für sich haben – ob am Abend, Wochenende oder Feiertag.
Ein trauriger Gipfelpunkt: der Rückzug aus Angst vor anderen
Gipfelpunkt scheint mir das zu sein, was man in der Kultur Japans finden kann: die Zeit als „Hikikomori“ – als bewusst in sozialer Isolation lebender Mensch, weil man sich von den hohen Erwartungen der Gesellschaft überfordert fühlt. Meist sind es Männer, die in der japanischen Kultur von diesem Phänomen betroffen sind.
Doch auch bei uns eine Krise: Einsamkeit
Auch bei uns ist es gerade die Jugend, die nach aktuellen Studien nach Gemeinschaft sucht und nicht selten in Städten unter Einsamkeit und Vereinzelung leidet. Beim Dekanatsforum zum Thema Einsamkeit, das ich vor einiger Zeit in Würzburg besucht habe, wurde zudem deutlich, dass in Zeiten der Digitalität Menschen nicht nur im städtischen Kontext, sodnern auch mehr und mehr auf dem Land unter Einsamkeit leiden.
Diese Entwicklung scheint recht offensichtlich zu sein, da nur mehr ein kleiner Prozentsatz in einer Großfamilie aufwächst und die Notwendigkeit von Gemeinschaft nicht mehr so selbstverständlich ist wie in früheren Tagen. Viele von ihnen werden die Zeiten noch kennen, als man sich miteinander einen Mähdrescher, ein Telefon oder einen Fernseher geteilt hat. Als man miteinander auf dem Feld war oder zusammen den Hof bestellt hat.
Heute sitzen Familien manchmal gemeinsam am Tisch und jeder Beteiligte schaut in sein eigenes Wischkästchen. Gleichzeitig gewinnt die sogenannte „family time“, die Zeit im Kreise der Familie und auch der „Oma/Opa-Tag“ an Bedeutung.
Der Gründonnerstag als Aufruf zur Gemeinschaft
Wenn wir den heutigen Gründonnerstag mit der Feier des letzten Abendmahls in den Blick nehmen, so sehen wir, dass Jesus Einzelne berufen hat, um Gemeinschaft zu leben. Ja, dass er aus dem Individualismus in die Gemeinschaft ruft. Denn Jesus hat seine Jünger einzeln ausgewählt und sie dann zu seiner Gruppe hinzugefügt. Es ist jedoch keine perfekte Gemeinschaft, die da zusammengekommen ist, wie wir an den Charakteren deutlich sehen
Jesus kann mit einer unperfekten Gemeinschaft leben
In der Jüngergemeinschaft zu finden ist mit Judas ein Verräter ebenso wie in Petrus ein Verleugner des Herrn. Die Mehrzahl der Jünger sind große Angsthasen, die fliehen, wenn es ernst wird. Es gibt Individualisten ebenso wie Gemeinschaftskämpfer. Doch nach dem schrecklichen Tod Jesu am Kreuz kommt die Jüngergemeinde zusammen, um die Schrecken miteinander sacken zu lassen, bis sie dann einzeln und gemeinschaftlich von der Auferstehung Jesu überrascht werden.
In Gemeinschaft wird gesandt und als Merkmal erkannt
Nach der Auferstehung werden sie jeweils zu zweit entsandt, um in die noch so entlegensten Winkel dieser Erde zu gehen, um die frohe Botschaft zu verkünden und Glaubensgemeinschaft zu stiften. Das Merkmal, an dem sie gemeinschaftlich festhalten werden, ist der eine Glaube an Christus, den Gekreuzigten und Auferstandenen, die Gemeinschaft der Glaubenden und das Brechen des Brotes, das ihr Zeichen der Gemeinschaft wird, weil es ihnen Jesus am heutigen Tag aufgetragen und hinterlassen hat.
Handlungsweisungen für unsere Gemeinschaft
Schwestern und Brüder im Herrn, wenn wir die Gemeinschaft im Abendmahlssaal und später die Entstehung der Gemeinschaft der Kirche in den Blick nehmen, was können wir daraus für uns und unsere Gemeinschaft heute mitnehmen?
1. Einzelne Begnung, die zur Gemeinschaft führt
Als Erstes: Es braucht die persönliche Begegnung mit Jesus, die dann aber in die Gemeinschaft mündet. Alle, die zur frühen Glaubensgemeinschaft einen Zugang finden, tun dies, weil sie persönlich im Glauben durch Jesus und durch die Zeuginnen und Zeugen der Auferstehung angesprochen werden. Auch bei uns muss dies so sein. Jede und jeder von uns braucht einen eigenen, persönlichen Glaubenszugang. Es ist notwendig, persönlich in Zeiten des Gebetes zum Herrn zu kommen. Doch genauso braucht es die gemeinschaftlichen Zusammenkünfte wie am heutigen Tag, damit man spüren kann: Glaube geht über die eigenen Grenzen hinaus. Glaubensgemeinschaft heißt zu spüren: Es gibt etwas Grundlegendes, das uns miteinander verbindet. Dies ist der Glaube, aber auch eine einheitliche Liturgie. Mich fasziniert immer wieder, dass etwa der Aufbau der Heiligen Messe überall auf der Welt gleich ist. Selbst, wenn ich kein Norwegisch, Portugiesisch oder Vietnamesisch kann, so kann ich überall dort, wo die Heilige Messe gefeiert wird, doch einen Zugang zur Gemeinschaft finden, weil ich erahnen kann, worum es geht, weil mir die Abläufe vertraut sind.
Es muss keine perfekte Gemeinschaft sein
Als Zweites möchte ich zu schon vorher Gesagtem nochmal zurückkehren. Es geht darum, dass die Gemeinschaft der Jünger Jesu keine perfekte Gemeinschaft ist. In ihr haben Versager, Zweifler und Kolloborateure ebenso einen Platz wie jene, die auf dem Weg gen Heiligkeit sind. Jesus sagt zu Judas genauso wie zu Petrus nicht: „Hau ab! In meiner Gemeinschaft ist kein Platz für dich!“ Das ist für mich tröstlich, denn wir Menschen haben immer wieder Fehler, müssen an uns arbeiten und unseren Platz suchen.
Daher erschreckt es mich in der Kirche meiner Tage immer wieder, dass Bischöfe und Laiengremien beschließen: wenn einer dieser oder jener Partei, Anschauung oder Orientierung zugehörig ist, dann ist für ihn in der Kirche kein Platz. Dies scheint mir ebenso fragwürdig zu sein wie es in der Vergangenheit war, Menschen auszuschließen, die nicht der katholischen Norm entsprochen haben.
sichtbare Zeichen der Gemeinschaft und ein Aufruf zur Gemeinschaft
Als letzten Punkt möchte ich heute auf die Zeichen eingehen, die uns Jesus hinterlassen hat. Denn in der Fußwaschung als Liebesdienst gibt Jesus ein Zeichen, wie es in seiner Kirche zugehen soll: demütig, liebevoll und im Miteinander.
Zudem schenkt er sich im letzten Abendmahl vorausblickend selbst, wenn er sich am Folgetag am Kreuz für die Gemeinschaft all derer, die ihm folgen werden, hingibt.
Welch größeres Zeichen der Liebe für die Gemeinschaft könnte er geben?
Kann man dann wirklich sagen: Mit dir und deiner Gemeinschaft will ich nichts zu tun haben? Müsste man sich nicht vielmehr deutlich fragen: „Welchen Platz hast du, Jesus, für mich in deiner Gemeinschaft vorgesehen? Was ist mein Dienst für die Gemeinschaft aller Glaubenden?“